Das Spiel ging also munter weiter, die beiden Kollegen sprachen mit den Schülern weiter über Herrn X - in dessen Abwesenheit. Herr X bekam das nur ab und zu mit, wenn zum Beispiel ein Schüler während des Unterrichts einen seiner mitanwesenden beiden Kollegen fragte, wann sie „das Thema, über das wir heute gesprochen haben, mit Herrn X besprechen“. Solche Fragen wurden allerdings von den Kollegen im Beisein von Herrn X abgewiegelt. Als Herr X seine Kollegen fragte, was der Schüler wohl gemeint haben mag, bekam er auch keine zufriedenstellende Antwort von seinen beiden Kollegen, nur den Hinweis, dass ihn die Schüler „einfach nicht ausstehen“ könnten.
Die Aufgabe, die Herr X Lisa gegeben hatte, fand seine Kollegin, Frau Susi, nun interessanterweise auch nicht mehr so toll. Auf Herrn Xs Frage, warum seine Kollegin nun anders denke, bekam er die flapsige Antwort: „Ich sag schnell mal Ja zu etwas.“
So kam Herr X immer weiter in eine Rolle, in der er sich sehr unwohl fühlte. Abgesehen davon, dass der Unterricht nicht funktionierte, weil sich die meisten Schüler der Klasse nicht daran beteiligen wollten oder absichtlich störten, um Herrn X am Unterrichten zu hindern, bekam er immer mehr den Eindruck, dass er weder von seinen Kollegen noch von der Schulleitung Unterstützung erhielt. Auch die Lehrer der anderen Klassen kommunizierten nur mit Herrn X, wenn es nicht anders ging. Herr X schilderte, dass er sich schon nach wenigen Wochen an dieser Schule wie „ein Paria“ oder „wie ein Aussätziger“ fühlte.
Eines Tages wollte Herr X von Kollegin Susi wissen, wie es den beiden Kollegen mit ihm so gehe, worauf Frau Susi allerdings nur ausweichend antwortete. Sie sei „zu müde“, um darüber mit Herrn X zu sprechen.
Am nächsten Tag, als Herr X wieder allein in der Klasse stand, teilte ihm Luise mit, dass die Klasse Herrn X „als Mobbingopfer auserwählt“ habe.
Ihm fiel immer mehr auf, dass die Schüler der Klasse mit den anderen beiden Lehrern negativ über ihn sprachen, auch in seiner Anwesenheit. Er wusste langsam nicht mehr, was er tun sollte, da ihm schien, dass ihm sämtliche Handlungsoptionen genommen worden waren.
Während des Unterrichts von Herrn X benahmen sich die Schüler nun so, als ob er gar nicht anwesend wäre. Sie behandelten ihn wie Luft, weil sie wussten, dass Herr X keine Handhabe gegen sie hatte und die Klassenlehrerin, Frau Susi, die disziplinären Maßnahmen von Herrn X ständig untergrub.
Luise teilte während des Unterrichts Herrn X immer wieder mit, dass er sich ihrem Tisch nicht nähern solle: „Gehen Sie weg von meinem Tisch!“ Herr X versuchte, das zu ignorieren, so gut ihm das noch möglich war.
Kollegin Susi war manchmal in den Stunden von Herrn X anwesend, sie saß hinter dem Lehrertisch und korrigierte Aufgaben oder beschäftige sich mit ihrem Smartphone. Oft begann sie plötzlich, sich in den Unterricht von Herrn X einzuschalten (besonders, wenn dieser - wie Herr X fand - gut zu laufen schien) und verwickelte die Schüler in Diskussionen über Themen, die mit dem Unterricht nichts zu tun hatten. Oder sie beantwortete Fragen, die die Schüler eigentlich an Herrn X gerichtet hatten. Erklärte Herr X einem Schüler etwas an dessen Tisch, kam sie oft dazu und begann, mit dem Schüler zu sprechen. Herr X hatte dadurch immer öfter den Eindruck, dass er im Unterricht eigentlich „nichts Sinnvolles“ machen könne. Zu dieser Zeit hatte er schon regelmäßig Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme.

Im zweiten Monat seiner Anstellung an der Förderschule war Herr X schon in der für ihn „vorgesehenen“ Rolle gelandet. Die Schülerin Luise und einige andere Schüler boykottierten ständig den Unterricht von Herrn X, egal was er machte, und störten die wenigen anderen Schüler, die noch mitarbeiteten. Als die Klassenlehrerin wieder einmal anwesend war und die Schüler nach dem Grund ihres Verhaltens fragte, sagten sie, dass es doch ganz klar sei, denn nach 10 Uhr wäre „Herr X mit seinen faden Stunden“ da. Als Frau Susi daraufhin die Schüler mit lächelndem Gesicht ermahnte, mit dem störenden Verhalten aufzuhören, sagte Luise zu Frau Susi: „Jetzt mag ich Sie auch nicht mehr.“ Frau Susi schien das sehr zu treffen und ging gleich mit Luise hinaus, um mit ihr unter vier Augen zu sprechen. Nach dem Unterricht wollte Herr X von Frau Susi über den Inhalt des Gesprächs reden, Frau Susi wirkte aber sehr kurz angebunden und verabschiedete sich flott. Als Herr X sie am nächsten Tag nochmals auf ihr Gespräch mit Luise ansprach, wollte Frau Susi ihm darüber keine Auskunft geben.
Am Tag danach fiel Herrn X auf, dass sich Frau Susi offenbar so sehr mit Luise zu identifizieren schien, dass sie sie versehentlich mit ihrem eigenen Vornamen ansprach - was zur Belustigung unter den Schülern führte.
Hier wird deutlich, wie tief in einer solchen Dynamik die Spaltung eines Teams gehen kann. Luise benutzte den Narzissmus von Frau Susi, um einen immer tieferen Keil zwischen Herrn X und dem Rest des Kollegiums zu treiben. Während Frau Susi sich als „gute Lehrerin“ fühlen durfte, die „eh schon so viel macht“, und Herr Peter, ihr Partner (sowohl beruflich als auch privat?) sie als ebenfalls „guter Lehrer“ unterstützte, war Herr X in eine Position geraten, in der er nicht nur von den Schülern, sondern auch von Herrn Peter und Frau Susi abgelehnt wurde - und das nicht nur als Kollege, sondern auch als Mensch.
Die Identifikation von seiner Kollegin Susi mit Luise führte dazu, dass sie die Verhaltensmuster, die Luise Herrn X gegenüber an den Tag legte, in gewisser Weise übernahm. So hielt sie sich nicht an mit ihm getroffene Vereinbarungen, „vergaß“ den Unterricht vorzubereiten und verabschiedete sich ohne Vorwarnung eine Stunde vor der Zeit.
Herr X erzählte von einer Stunde, in der er ein gemeinsames Projekt geplant hatte, und in der Frau Susi plötzlich damit begann, mit einigen Schülern Aufgaben aus einem anderen Gegenstand zu machen. Nach dieser Stunde war Herr X zurecht verärgert, doch Kollegin Susi lächelte ihn an und sagte zu ihm: „Das war doch eine super Stunde, oder?“
Für Herrn X war es wichtig, in der begleitenden Supervision zu erkennen, dass es nicht an ihm lag, auch wenn die Protagonisten dieses System, in dem er nun verstrickt war, es so darzustellen versuchte. Vielmehr war es wichtig, dass Herr X erkannte, wie schädlich es für ihn und seine Gesundheit war, diese ihm zugedachte Rolle als „wahr“ zu akzeptieren.
Denn es lag nicht an ihm und da half Herrn X ein Blick auf die Fakten: er wies formal eine höhere Qualifikation als die in der Förderschule arbeitenden Kollegen auf und war ein erfahrener Pädagoge. Er war älter als seine beiden Kollegen und hatte mehr Lebenserfahrung. Die Erinnerung an seine bisherigen beruflichen Erfolge half ihm in dieser Situation sehr. Und: sein Privatleben war - im Gegensatz zu dem seiner beiden Teamkollegen - geordnet und harmonisch.
Ein nüchterner Blick auf Fakten ist immer hilfreich, wenn man den Eindruck hat, in ein Narrativ hineinzugeraten, wo alles auf dem Kopf zu stehen scheint.
Diese Beobachtungen führen zu einem weiteren wesentlichen Punkt: Herr X weckte wohl den Neid seiner beiden Kollegen, was dazu führte, das diese durch die (institutionell vorgegebene) Abwertung seiner Person einen Lustgewinn erfuhren. Wäre die Dynamik nun zum Beispiel durch eine Teamsupervision bewusst gemacht worden, hätten die beiden Kollegen Frau Susi und Herr Peter nicht nur ihre „gute Lehrer“ - Position verloren, sondern auch eine Quelle ihrer (falschen) Selbstaufwertung (die durch die Abwertung von Herrn X entstanden war), wäre versiegt.
Es verwundert daher nicht, dass außer Herrn X niemand zu einer Teamsupervision bereit war. Schon gar nicht der Schulleiter, der immer wieder betonte, dass es ihm am liebsten wäre, wenn „alles so bleibt, wie es ist.“
Die eigentliche „Gewinnerin“ dieser verqueren Dynamik war allerdings Luise. Auch sie bekam etwas, nämlich ein Gefühl von Macht. Durch ihre Manipulationen war es ihr gelungen, Macht und Kontrolle über ihre Lehrpersonen zu bekommen.
Kinder und Jugendliche, die immerzu von Eltern, Erziehungsberechtigten und Lehrpersonen niedergemacht werden, tendieren dazu, jede sich bietende Gelegenheit zu ergreifen, endlich einmal jemand anderen niedermachen zu können. Um willige Unterstützer brauchte sich Luise an der Förderschule deshalb keine Sorgen zu machen.
Innerhalb des Kollegiums der Schule gab es, den Erzählungen von Herrn X nach, einen „harten Kern“, der „es sich richtete“, und der sich gegen Herrn X kommunikativ abgrenzte. Besonders bei gemeinsamen Konferenzen fiel Herrn X das auf. Niemand setzte sich zu ihm, seine Versuche, „mitzureden“, wurden abgeblockt oder nicht ernst genommen. Als Herr X während einer Konferenz den Schulleiter nach der Möglichkeit einer Teamsupervision fragte, glaubte er zu bemerken, wie einige Kollegen „vielsagende Blicke“ tauschten.
Der Schulleiter meinte zu Herrn X nur, er wolle „dieses Supervisions-Thema“ gern alleine mit Herrn X besprechen - wozu es aber nie kam.
Herr X schilderte den Schulleiter allgemein als „nicht sehr gesprächig“, so wurde Herr X kein einziges Mal von diesem gefragt, wie es ihm denn an diesem Arbeitsplatz ginge oder überhaupt irgendwann einmal zu einem Mitarbeitergespräch eingeladen. Wahrscheinlich gab es aber andere Kanäle, über die der Schulleiter Informationen über Herrn X und seinen Unterricht erhielt - und wahrscheinlich waren diese Informationen nicht zu Herrn Xs Vorteil.
Die hier geschilderte Dynamik ist ein Beispiel dafür, was leider oft vorzukommen scheint: gering qualifizierte Personen bilden eine Gruppe, in der sie sich gegenseitig in ihrer „Kompetenz“ bestätigen. Kommt nun jemand mit einer höheren Qualifikation oder einer anderen Eigenschaft, die Angst oder Neid erregen könnte, wird er von der Gruppe nicht akzeptiert, da dieses Akzeptieren eine narzisstische Kränkung für ein oder mehrere psychisch entsprechend strukturierte Gruppenmitglieder bedeuten würde.
Auch wenn sich diese Person noch so sehr um ein gutes Auskommen bemüht, lässt man sie immer wieder „anrennen“ und grenzt sie aus. Stattdessen werden diese Person und ihre Qualifikation bzw. ihre Kompetenz mehr oder weniger subtil oder hinterrücks entwertet und sie wird so lange gequält, bis das gewünschte Resultat erreicht ist und sie unter dem Druck zusammenbricht oder den Hut nimmt, wodurch sich die Gruppenmitglieder wiederum ihre Selbstbestätigung bzw. ihre narzisstische Zufuhr holen - diese Person ist für unsere Arbeit „nicht gut genug“.
Betroffenen, die sich in einer solchen Situation befinden, ist zu raten:
„Werft euere Perlen nicht vor die Schweine. Sonst zertreten sie sie mit ihren Füßen und machen dann kehrt und zerreißen euch.“ (Neues Testament, Mt.7,6)
Und Herr X? Er fühlte sich eine Zeit lang „wie ein Verlierer“, ist er doch „den Anforderungen nicht gerecht“ geworden. Es stellt sich da aber schon die berechtigte Frage, was denn das für Anforderungen sein sollen?
Hat Herr X wirklich „verloren“? Für Herrn X und seine Situation trifft vielmehr zu, dass es machmal wirklich ein Gewinn ist, wenn man etwas verliert.
Und haben die Kollegen bzw. hat Luise wirklich „gewonnen“, wenn sie Herrn X für alles, was schiefgelaufen ist, verantwortlich machen? Ich denke nicht.
Denn „Siege“ dieser Art sind in Wahrheit Pyhrrussiege, denn es ist psychologisch erwiesen, dass Heuchelei und niedriger Selbstwert miteinander korrelieren. Das bedeutet, dass sich dieser oben beschriebene „harte Kern“ immer mehr in einer Abwärtsspirale aus kurzfristiger Entlastung, Selbstwertminderung und Lösungsblockierung verstrickt, da man zwar als Gruppe vielleicht enger zusammenwächst und sich beim gegenseitigen Auf-die-Schulter-Klopfen zwar recht supertoll fühlen kann, sich aber das dysfunktionale „Lösungsschema“, für das immer wieder ein neuer Kollege missbraucht werden muss, stabilisiert.
Und was für Luise, als Person mit der Diangose Borderline-Persönlichkeitsstörung, zwar kurzfristig entlastend ist und ihr die Illusion von Kontrolle gibt, vertieft in Wahrheit ihre Störung, da es keine stabile und professionelle Struktur gibt, in der sie lernen kann, was Grenzen sind und wie Beziehungen funktionieren können.
Konstruktive Lösungen, die besonders für die Entwicklung der Schüler (und auch für die betreffenden Kollegen!) wichtig wären, sind in einem solchen System leider nicht mehr möglich, schon gar nicht, wenn gemeinsame Supervision von vornherein nicht als sinnvoll gesehen wird - was aber nicht verwunderlich ist, bei solchen qualifizierten „Pädagogen“, die selbst massive Probleme mit Beziehungen und Grenzen zu haben scheinen.

Bewältigen
Die beschriebenen Dynamiken von Norbert, Tamara und Luise und ihren Teams weisen signifikante Parallelen untereinander auf. Gemeinsam ist allen drei Klienten das ständige Überschreiten von Grenzen.
Sowohl Tamara, Norbert und Luise konfrontierten das jeweilige Team mit manipulativem Verhalten, das heißt, alle drei versuchten, Ziele auf intransparente Art und Weise durchzusetzen - der Interaktionspartner durschschaut die tatsächlichen Absichten der Person nicht und hat keine Wahl.
Norbert, Tamara und Luise konnten gut erkennen, welche Betreuungspersonen sie wie manipulieren konnten. Die einzelnen Teammitglieder ließen sich gegeneinander ausspielen, bekamen unterschiedliche Eindrücke von den Klienten, entwickelten unterschiedliche Problemvorstellungen und Haltungen zu den Klienten und unterstützten die Klienten an unterschiedlichen Stellen.
Die daraus entstandene Spaltung ist eine Folge der Strategien der Klienten.
Ein Team kann nur deshalb gespalten werden, weil Teammitglieder wie alle Menschen prinzipiell anfällig für Manipulationen sind und weil Teammitglieder für unterschiedliche Manipulationen anfällig sind. Das eine Teammitglied will den Klienten schützen, stützen und versorgen. Ein anderes Teammitglied reagiert dagegen auf das „Jammern“ allergisch: es vertritt eine harte Linie gegenüber dem Klienten.
Eine Folge daraus ist, dass die Klienten keine klaren Informationen mehr vom Team erhalten können und dadurch verwirrt werden. Sie können ihre Manipulationen erfolgreich fortsetzen und lernen therapeutisch das Falsche (vgl. Sachse 2006, S. 129).
Im Team sollte es einen hohen Informationsaustausch geben, was es den Klienten erschwert, Mitglieder des Teams gegeneinander auszuspielen. Ebenso ist eine regelmäßige Teamsupervision unverzichtbar, in denen Schwierigkeiten, die einzelne Teammitglieder untereinander haben, besprochen und aufgelöst werden können.
Ganz besonders wichtig ist auch eine regelmäßige Fallsupervision, in der es dann hauptsächlich um den Klienten oder die Klientin geht.
Rainer Sachse stellt schildert in seinem Buch folgende hilfreiche Herangehensweise:
„Um das komplexe Interaktionsverhalten von Personen mit Persönlichkeitsstörungen zu verstehen, muss man über die Betrachtung des „normalen“ Interaktionsverhaltens hinausgehen. Man muss annehmen, dass es neben den normalen, transparenten und reziproken Interaktionsmustern noch andere Arten von Interaktionsverhalten gibt. Neben der normalen, authentischen Handlungsregulation, so wird hier angenommen, gibt es noch eine zweite Handlungsregulationsebene, die nach anderen Prinzipien funktioniert. Grundlage dieser zweiten Ebene der Handlungsregulation sind bestimmte, aus der biographischen Erfahrunge einer Person stammende Grundannahmen oder Schemata. Als Schema bezeichnet man dabei eine Wissensstruktur, die sich durch Erfahrung bildet und durch bestimmte Situationen aktiviert wird. Wird sie aktiviert, dann steuert sie die weitere Verarbeitung der Situation.“ (Sachse, 2006, S. 31)
Personen mit Persönlichkeitsstörungen bilden in ihrer Biographie Schemata aus, die sich vor allem auf zwei Bereiche beziehen:
- Annahmen über das Selbst: Selbst-Schemata (z.B.: Ich bin wertlos. Oder: Ich bin nicht wichtig.)
- Annahmen über Beziehungen: Beziehungs-Schemata (z.B.: Man kann jederzeit verlassen werden. Oder: Niemand kümmert sich um mich.)
Je negativer die Erfahrungen sind, die eine Person in ihrer Biographie macht, desto negativer sind die Schemata. Ein Kind kann in seinem Bezugssystem die Erfahrung machen, dass es zwar als Person nicht wichtig genommen wird, dass es jedoch für bestimmte Arten von Verhaltensweisen durchaus Aufmerksamkeit erhalten kann. Es kann so Bezugspersonen durch Handlungen dazu veranlassen, ihm das zu geben, was diese ihm als Person verweigern. So kann dieses Kind in dem Interaktionssystem, in dem es als Person keine Wichtigkeit erlangen kann, durch bestimmte Handlungen durchaus Aufmerksamkeit erzielen. Zudem bekommt das KInd so auch ein Stück Kontrolle zurück. Das Kind lernt also in seiner Biographie mehr oder weniger intransparente und manipulative Strategien, um wichtige interaktionelle Ziele zu erreichen, obwohl die Interaktionspartner diese Ziele nicht freiwillig befriedigen. Die Lösung funktioniert, hat jedoch ihre Kosten, denn die Person kann auch weiterhin trotz ihrer Strategien nicht erreichen, als Person wichtig zu sein. Denn dazu lässt sich kein Interaktionspartner zwingen (vgl. Sachse 2006, S.34)
Beziehungsschwierigkeiten von Borderline-Klienten sind eng mit Störungen der Kommunikation verbunden. Mangelndes Selbstvertrauen und Schwarz-Weiß-Denken führen zu Irritationen und zu Ablehnung. Was diese Ablehnung in Klienten auslösen kann, haben einige Betroffene so formuliert:
„- Ablehnung von mir wichtigen Leuten löst nur emotionale Katastrophen aus. Versuche heute damit umzugehen, ist aber eine meiner schwersten Übungen.
- Bei mir löst Ablehnung Brutalität, Gefühllosigkeit, Klammern, Bevormundung, Arroganz, Dummheit aus.
- Trauer, Rückzug, Autoaggression!
- Selbstzweifel, Selbstabwertung, Trotz, Wut.“ (Rahn 2007, S.137)
Norbert, Tamara und Luise reagierten sehr emotional, wenn etwas den „inneren Film“ des Abgelehntwerdens auslöste. Eine sinnvolle bzw. therapeutisch wirksame Kommunikation mit Norbert, Tamara oder Luise besteht darin, eine Struktur zu geben, mit der diese Klienten dann im Alltag zurechtkommen können. Dabei ist darauf zu achten, alles für die Klienten nachvollziehbar und transparent zu kommunizieren und sie so viel wie möglich in Entscheidungsprozesse zu integrieren.
Klare kommunikative Strukturen beinhalten zum Beispiel:
- klare Regeln, an die sich alle Teammitglieder und alle Klienten halten
- eine klare Verteilung von Kompetenzen (z.B. an wen man sich bei welchem Problem wenden kann)
- Verschriftlichung von Abmachungen (z.B. Verträge, die vom zuständigen Betreuer bzw. vom Team und der Klientin unterschrieben werden)
Zum Abschluss der von den obigen Teammitgliedern geschilderten Erfahrungen in der Arbeit mit Norbert, Tamara und Luise, möchte ich noch ein Zitat von Rahn (2007, S.80) bringen, das diese fordernde Tätigkeit ganz gut auf den Punkt bringt:
„Die vielfältigen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Borderline-Störung erscheinen zunächst wie ein unüberwindlicher Berg. Nicht nur die Symptome müssen überwunden, sondern auch viele ungünstige Haltungen und Verhaltensmuster geändert sowie eine weitreichende Hoffnungslosigkeit bekämpft werden. Oft ist der Glaube an eine positive Veränderung bereits verloren oder die Menschen der Umgebung haben schon nur noch negative Erwartungen. Feindseligkeit ist zudem vielfach an die Stelle sozialer Unterstützung getreten. All das in Kombination mit einem negativen Selbstbild sind Gründe, um aus der eigenen Haut herauszuwollen und radikale Änderungen zu wollen. Die Störung lässt aber leider gerade keine radikalen Lösungen zu. Sind die Erwartungen zu hoch, stellen sich sehr schnell Überforderungen ein und Enttäuschungen sind die Folge. Damit steigt das Leid sogar noch. Es ist daher ein Akt der Klugheit, sich nicht zu viel vorzunehmen und realistisch zu bleiben. Dazu gehört auch, die notwendig erscheinenden Veränderungen in Teilschritte zu untergliedern, die den eigenen Möglichkeiten angepasst sind.“
Literatur:
Rahn, Ewald (2007). Borderline verstehen und bewältigen. Köln: Psychiatrie-Verlag.
Sachse, Rainer (2006). Persönlichkeitsstörungen verstehen: Zum Umgang mit schwierigen Klienten. Köln: Psychiatrie-Verlag
Ermann, Michael (2016). Psychotherapie und Psychosomatik. 6.Aufl. Stuttgart: Kohlhammer. Kindle E-Book
Dilling, H.; Mombour, W.; Schmidt, M.H. (Hg.) (2008). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. Bern: Huber.
Falkai, Peter; Wittchen, Hans-Ulrich (Hg.) (2003). American Psychiatric Association: Diagnostische Kriterien DSM-4. Göttingen: Hogrefe.